Bäume rufen Vögel und räuberische Insekten um Hilfe
Abwehrstrategien von Bäumen
Waldbäume senden bei Befall durch Pflanzenfresser Duftstoffe aus. Damit locken sie räuberische Insekten und sogar Vögel an und befreien sich so von ihren Plagegeistern. Was bislang nur in Laborexperimenten nachgewiesen worden war, konnten Forschende nun erstmals im natürlichen Lebensraum zeigen – im Kronendach des Leipziger Auwalds. Die chemischen Hilferufe bestimmen sogar die Zusammensetzung der Insektengemeinschaft im Blätterdach. Dieses Wissen kann künftig für die natürliche Schädlingsbekämpfung in Land- und Forstwirtschaft nützlich sein.
Bäume kommunizieren über Duftstoffe
Ja, auch Bäume können sprechen. Allerdings nicht wie wir akustisch, sondern über Duftstoffe. Ähnlich eines menschlichen Fingerabdrucks stößt jede Baumart ihre ganz eigene Zusammensetzung flüchtiger organischer Stoffe (VOCs) aus. Dieses Muster lernten Tiere im Laufe der Evolution zu „lesen“. Insekten, die an diesen Bäumen fressen, finden so ihre Wirte. Doch die Bäume reagieren darauf „angefressen”. Sie mobilisieren einerseits andere Pflanzenstoffe wie etwa Bitterstoffe, die den Pflanzenfressern nicht schmecken. Zudem geben sie weitere flüchtige Stoffe ab, um andere Teile der Pflanze in Alarmbereitschaft zu versetzen. Mit diesen locken sie zusätzlich aber auch andere Tiere wie Vögel und räuberische Insekten an, die ihnen zuhilfe eilen. Diese ebenfalls gelernt, die VOCs zu interpretieren und so ihre Beute zu finden und drängen so die „Schädlinge” zurück. Aus Sicht der Bäume hat sich so also eine Art „Hilferuf“ entwickelt.
Hormon lockt Fressfeinde an
„Dass Pflanzen bei Schädlingsbefall chemisch parasitierende Wespen, Raubwanzen und sogar Vögel anlocken können, war schon länger bekannt“, sagt Erstautor Dr. Martin Volf, der die Studie am iDiv geleitet hat. „Für ausgewachsene Bäume wurde dieser Abwehrmechanismus jedoch bislang nie in einer realistischen Umgebung getestet. Möglich wurde dies durch die Kombination von Untersuchungsmethoden, von Tierverhaltensexperimenten in 40 Metern Höhe auf dem iDiv Auwaldkran, bis hin zur molekularen Analyse der Pflanzenduftstoffe mit Metabolomik“, meint der Biologe. Als Metabolomics wird die systematische Untersuchung der einzigartigen chemischen Fingerabdrücke von Organismen, in diesem Fall von Baumblättern, bezeichnet, die in Tests zuverlässig nachzuweisen sind.
Um den Effekt der induzierten Abwehr auf Fraßfeinde zu testen, täuschten die Forschenden chemisch einen Fraß vor, indem sie Zweige in den Kronen ausgewachsener Eichen mit Methyljasmonat besprühten, einem Pflanzenhormon, das die Abwehrreaktion auslöst. Außerdem beklebten sie diese Blätter mit Raupenattrappen aus Plastik und dokumentierten regelmäßig die Biss- und Pickspuren durch Vögel und andere Räuber. Die vorhandenen echten Raupen der Eichenschädlinge wurden auf induzierten und nicht-induzierten Ästen erfasst und die von den Ästen abgegebenen flüchtigen Stoffe im Labor analysiert. In einem Verhaltensexperiment wurde zudem eine etwaige Präferenz von Schwammspinnerraupen (Lymantria dispar) gegenüber den Blättern induzierter und nicht-induzierter Äste ermittelt.
Es zeigte sich, dass induzierte Äste wesentlich stärker von Fraßfeinden wie Vögeln, Schlupfwespen und Raubwanzen angeflogen wurden als unveränderte Äste. Dort war auch die Zahl der Eichenschädlinge wesentlich geringer. Im Fraßtest mieden die Raupen des Schwammspinners induzierte Blätter, was darauf hindeutet, dass die Bäume Abwehrstoffe wie Tannine abgeben, die in den molekularen Analysen identifiziert wurden. Die induzierte chemische Abwehr stellte sich in der neuen Studie als der wichtigste Steuermechanismus der Artenzusammensetzung von Insekten in Baumkronen heraus.
„Die Ergebnisse machen die verschiedenen Dimensionen sichtbar, in der die biologische Vielfalt wirkt: So bedingen sich die Vielfalt der chemischen Abwehrkräfte von Bäumen und die Vielfalt der von ihnen abhängigen Insektenfresser“, meint Martin Volf.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Martin Volf
Institut für Entomologie am Biologiezentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften
Quelle: idw – 19.01.2022